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Interview: „Die Universität Zürich hat die ethische Verpflichtung, diese beiden Artikel zurückzuziehen“


Interview mit Bertrand Kiefer, ehemaliger Chefredakteur der Revue Médicale Suisse, zur UZH-PMI Affäre.

Die Enthüllung des geheimen Anhangs zum Vertrag zwischen Philip Morris und der Universität Zürich bestätigt nun, dass die vom Zigarettenhersteller finanzierte Studie gegen die Grundsätze der wissenschaftlichen Forschung verstiess. Was wird ihr vorgeworfen?

Bertrand Kiefer (BK) : Der erste Punkt betrifft die guten wissenschaftlichen Praktiken, gegen die bei dieser Studie verstossen wurde. Unabhängige Forscher haben nachgewiesen, dass die verwendeten statistischen Methoden nicht angemessen waren und dass das negative Ergebnis statistisch vorhersehbar, also im Voraus bekannt war.

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Transparenz des Forschungsprojekts, die nicht gewahrt wurde. Tatsächlich war der wesentliche Teil der Projektbeschreibung in einem Anhang des Vertrags versteckt, was eine unethische Praxis darstellt.
Der dritte wichtige Punkt betrifft die Einmischung von Philip Morris in das Forschungsverfahren, was aus dem Anhang des Vertrags klar hervorgeht. Der Zigarettenhersteller hatte weitreichende Kontrolle über das Verfahren und konnte es in seinem eigenen Interesse verändern. Dies stellt ebenfalls einen Verstoss dar.claire à l’intégrité scientifique.

Inwiefern widerspricht die Partnerschaft zwischen der Universität Zürich und Philip Morris den Grundwerten der Universität und den Integritätsregeln der Akademien der Wissenschaften Schweiz?

BK : Punkt 2.2 des Berichts der Akademien der Wissenschaften Schweiz zur wissenschaftlichen Integrität – in der Fassung von 2008, die vor dieser Forschungsarbeit erschienen ist – weist darauf hin, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft die angestrebten Projekte und Ergebnisse kritisch beurteilen und ethisch hinterfragen können muss. Dies war bei dieser Studie nicht der Fall, weil die für eine solche kritische Beurteilung erforderlichen Dokumente nicht vorlagen. Zudem wurden die Ergebnisse nie einem Peer-Review unterzogen, sondern lediglich auf der Website der Universität Zürich aufgeschaltet. 

Die Schweizer Akademien der Wissenschaften weisen auch auf die Bedeutung der Unabhängigkeit der Forscher hin. Dieser Punkt wurde in dieser Studie nicht beachtet. Wenn die Industrie eine Forschung finanziert, besteht ein erhebliches Risiko einer Verzerrung der Ergebnisse. Dieses Phänomen ist übrigens fast immer in der Tabakindustrie zu beobachten: Kaum eine von ihr finanzierte Studie kommt zu Ergebnissen, die ihren Interessen zuwiderlaufen. In diesem speziellen Fall war das Interesse dieser Industrie von globaler Bedeutung: Die Zürcher Studie wurde genutzt, um die Einführung der neutralen Verpackung in Australien und mehreren anderen Ländern, die sich für diese Massnahme interessierten, zu verhindern. Die Verzögerung der Umsetzung oder sogar die Verhinderung dieser Massnahme zur Bekämpfung des Tabakkonsums aus trügerischen Gründen hatte immense Folgen für die öffentliche Gesundheit, schwere Krankheiten und vorzeitige Todesfälle. Das ist wirklich nicht trivial.

Wie sollte die Antwort der Universität Zürich heute lauten?

BK : Nachdem nun öffentlich bekannt geworden ist, dass die von Philip Morris finanzierte Studie gegen die Regeln der wissenschaftlichen Integrität verstösst, ist die Universität Zürich ethisch verpflichtet, die beiden auf ihrer Website veröffentlichten Artikel zurückzuziehen. Sie muss ausserdem eine öffentliche Erklärung abgeben, in der sie diesen Rückzug ankündigt und ihr Versäumnis, ihrer Verantwortung nachzukommen, einräumt. Dies ist eine echte moralische Pflicht für die Institution.