Die kommerziellen Determinanten der Gesundheit (KDG) bezeichnen eine Reihe wirtschaftlicher und struktureller Faktoren, durch die private Akteure – insbesondere multinationale Unternehmen – die Gesundheit der Bevölkerung direkt oder indirekt beeinflussen. Dieser Einfluss kann positiv sein (z. B. die Entwicklung eines Impfstoffs zur Bekämpfung einer Pandemie) oder negativ (z. B. eine Tabakindustrie, welche sich gegen Werbeverbote stellt, obwohl ihre Produkte die Hälfte der Konsumierenden tötet).
Schädliche kommerzielle Determinanten der Gesundheit
Die kommerziellen Determinanten von Gesundheit (KDG) umfassen nicht nur die Produkte selbst, sondern auch Marktlogiken, soziale Normen und regulatorische Rahmenbedingungen. Diese Faktoren prägen Lebensstile und tragen zur Entstehung und Ausbreitung übertragbarer und nichtübertragbarer Krankheiten bei. Darüber hinaus haben sie Einfluss auf Pandemien und den Klimawandel. Es ist erwiesen, dass die KDG im Zusammenhang mit der Tabakindustrie ausschliesslich negativ sind. Daher hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen anerkannt, „dass ein grundlegender Interessenkonflikt zwischen der Tabakindustrie und der öffentlichen Gesundheit besteht“. Aus diesem Grund beschränkt sich unsere Analyse auf jene kommerziellen Determinanten, welche die öffentliche Gesundheit negativ beeinflussen.
Die kommerziellen Determinanten der Gesundheit ähneln sich stark in verschiedenen Sektoren, die gesundheits- oder umweltschädliche Produkte herstellen (neben Tabak z. B. Alkohol, stark verarbeitete Lebensmittel, gezuckerte Erfrischungsgetränke, fossile Energieträger usw.). Die Analyse der KDG ermöglicht es, über individualverhaltensorientierte Ansätze hinauszugehen und die Marketingstrategien, Arbeitsbedingungen, Produktions-Externalitäten und politischen Aktivitäten sichtbar zu machen, welche die Gesundheit der Bevölkerung beeinflussen.
Die Folgen der kommerziellen Determinanten von Gesundheit verschärfen die Ungleichheiten innerhalb und zwischen Bevölkerungsgruppen
Als Ausdruck eines strukturellen Versagens im Zusammenhang mit der Konzentration wirtschaftlicher Macht und der Verflechtung privater Interessen mit der öffentlichen Politik werfen die KDG zentrale Fragen der Regulierung, der Verantwortung und des Schutzes des Gemeinwohls auf – insbesondere durch die Verschärfung der Ungleichheiten innerhalb und zwischen Bevölkerungsgruppen. Die folgenden Abschnitte beschreiben sechs zentrale Einflussbereiche, in denen die kommerziellen Determinanten der Gesundheit Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit hat.
Politischer Einfluss
Industriebetriebe üben Einfluss auf die Ausgestaltung gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen aus – unter anderem durch Lobbyarbeit, die Mitwirkung an legislativen Prozessen sowie durch strategische institutionelle Partnerschaften. Dabei greifen sie gezielt auf ökonomische und juristische Narrative zurück, um regulatorische Vorhaben zu verzögern, abzuschwächen oder zu verhindern. Der Einsatz internationaler Rechtsmittel kann den politischen Gestaltungsspielraum erheblich einschränken und zu einer zurückhaltenden Regulierungspraxis führen. In der Konsequenz wird die gesundheitspolitische Souveränität von Staaten strukturell geschwächt.
Beeinflussung des Verhaltens
Marketing – insbesondere Werbung, Storytelling und Public Relations – prägt Verhaltensweisen, Identitäten und soziale Normen. Indem Unternehmen ihre Produkte mit Werten wie Freiheit oder Wohlbefinden verknüpfen, tragen sie zur Normalisierung des Konsums gesundheitsschädlicher Produkte bei. Die gezielte digitale Ansprache verstärkt diesen Einfluss – oft auf intransparente Weise –, wodurch die individuelle Handlungskompetenz eingeschränkt wird. Marketing wird so zu einem wirkungsvollen Instrument kultureller Legitimation und verschleiert zugleich die eigentlichen sozialen und strukturellen Determinanten von Gesundheit.
Kontrolle über die Produktion und Verbreitung von Wissen
Durch die Finanzierung von Forschung steuern Unternehmen wissenschaftliche Prioritäten und erzeugen gezielt Zweifel. Dieser Einfluss erstreckt sich von der Formulierung der Fragestellungen bis hin zur (Nicht-)Veröffentlichung der Ergebnisse. Indem sie künstliche Kontroversen aufrechterhalten, untergraben sie die Glaubwürdigkeit evidenzbasierter Erkenntnisse und blockieren politische Handlungsfähigkeit. Wissenschaft wird so zu einem strategischen Feld gezielter Einflussnahme.
Corporate Social Responsibility (CSR)
Corporate Social Responsibility (CSR) ermöglicht es Unternehmen, sich ein verantwortungsvolles Image aufzubauen – unabhängig von den gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit. Wohltätige Aktivitäten, Partnerschaften und Kommunikationskampagnen stärken ihre gesellschaftliche Legitimität und lenken zugleich von schädlichen Praktiken ab. CSR fungiert damit als symbolische Alternative zu verbindlicher Regulierung und trägt zur Aufrechterhaltung eines Status quo bei, der vor allem ökonomischen Interessen dient.
Strukturelle Marktmacht
Marktmacht stellt den zentralen Hebel aller anderen Einflussmechanismen dar. Durch die Konzentration von Kapital und Einfluss kontrollieren grosse Unternehmen das Angebot, steuern kollektive Präferenzen und schränken gezielt den Zugang zu gesünderen Alternativen ein. Sie externalisieren Gesundheits- und Umweltkosten auf die Gesellschaft, während sie die Gewinne privatisieren und Verantwortung auf das Individuum abwälzen. Diese gezielte Strategie der Verunsicherung verschleiert die tatsächlichen Ursachen gesundheitlicher Ungleichheiten und behindert den Aufbau einer gerechten und wirksamen Governance.
Quelle: The Commercial Determinants of Health. (2023). United Kingdom: Oxford University Press.